Besuch am Hof
Die persönliche Geschichte hinter dem Ausbruch der Geflügelpest
Stand: 06.11.2024
Die Stille am Hof ist mit das Schlimmste. Dort, wo Hühner gackerten und Gänse durchs Gehege flitzten, rührt sich nichts mehr. Else und Herbert Bauer sitzen in ihrer Stube, die Geschehnisse der vergangenen Tage sind ihnen anzusehen. Geflügelpest! Auch jetzt durchleben sie ein Wechselbad der Gefühle. Niedergeschlagenheit und Resignation wechseln sich ab mit Zukunftssorgen. Doch es gibt auch Lichtblicke.
Wer Else Bauer kennt, den wundert nicht, dass sie bei der Keulung ihrer Tiere mit dabei war. Sein musste. „Das war meine Art, mich zu verabschieden“, sagt sie mit Tränen in den Augen. Mancher Gans, die sie selbst getötet hat, hat sie noch zugeflüstert: „Du darfst jetzt in den Himmel fahren.“
Wer Else Bauer kennt, weiß auch, dass „die Viecher“ bei ihnen Familienmitglieder waren. Wie Hahn Walter, „ein wunderschöner“, den Sohn Johannes erst zum Geburtstag von einer Nachbarin geschenkt bekommen hatte. Die „Kuscheltiere“ Herbertine und Emma, „als die tot im Bulldog lagen, hat es mir fast das Herz zerrissen“. Die Wildentenzucht geht noch auf den Vater zurück.
Vor gut eineinhalb Wochen haben die Bauers beim Gang in den Stall bemerkt, „dass was nicht stimmt“. Zwei Gänse waren verendet, andere bewegten sich auffällig. Zusammen mit Sohn Johannes hat Herbert Bauer dann schon einzelne Tiere isoliert, am Montag hat die Familie umgehend das Veterinäramt verständigt. „Alles richtig gemacht“, bekräftigt dessen Leiter Dr. Ekkehard Kurth, der die Kooperationsbereitschaft und Transparenz ausdrücklich hervorhebt.
Dazu passt der Satz, den Else Bauer mehrmals sagt: „Ich steh‘ dazu.“ Deswegen hat sie die Nachbarn, teils selbst Geflügelhalter, sofort informiert, Lieferanten verständigt. Denkt zuerst an all jene, die im Umkreis nun nichts mehr verkaufen können. „Für die tut es mir leid.“ Zugleich fürchtet sie, dass sie Häme und Schuldzuweisungen treffen könnten. Ein beklemmendes Gefühl.
Unverzüglich beginnt sie, mit ihrem Mann die Kunden abzutelefonieren. Ein schwerer Gang: Keine Martinsgans, keine Ente, kein Geflügel an Weihnachten. „Mit Ausnahme von zwei Kunden waren alle total verständnisvoll“, berichten die Obersteinbacher. Die meisten hätten gesagt, dass sie dann eben im nächsten Jahr wiederkommen. „Das hat schon gut getan.“ Wie auch die Gesamtreaktion im Dorf. Der Ortssprecher hat vorbeigeschaut, Bekannte haben angerufen und Hilfe angeboten. „Da bin ich sehr glücklich drüber“, bekräftigt die 63-Jährige dankbar.
Und es gab noch mehr kraftgebende Momente: Heidi Berger und deren Mama Christa stellten am Donnerstag ihren Hof zur Verfügung, damit die Einsatzkräfte einen Platz für Pause und Verköstigung hatten. „Normal arbeitet nämlich keiner bei mir, ohne, dass er was zu essen kriegt.“ Nur: Das war aufgrund der Situation nicht erlaubt.
Oder ihr Pächter Marco, der, ohne große Worte zu machen, auf seinen freien Tag verzichtete, um bei der Keulung zu helfen. Dann waren da noch zwei Freundinnen, die am Wochenende einkauften beziehungsweise ein Care-Paket vom Bäcker brachten – vorsichtshalber hatten sich die Bauers in Isolation begeben, um niemanden zu gefährden.
Das war von Anfang an ihr Hauptziel. Folglich sind sie auch „dem Herrgott“ sehr dankbar, dass bei dem stundenlangen Einsatz am Hof niemand zu Schaden gekommen ist. „Wer uns was Gutes tun will, darf für uns beten“, hat die frühere Betriebshelferin vielfach auf die Frage geantwortet, wie man sie unterstützen könne.
Nach der Geburt von Sohn Johannes hat Else Bauer 1997 mit dem Geflügelhof begonnen, viele Jahre war sie auf Bauernmärkten präsent. Ob dort oder im Hofladen, für alle war sie immer nur „die Else“, was Anderes hätte sie gar nicht durchgehen lassen. Auch am Donnerstag nicht, als rund 30 Feuerwehrleute und weitere Fachleute – vom Veterinäramt, aber auch Metzger – anrückten.
Für sie alle, ihr Engagement, ihre Ausdauer und die Professionalität ist sie voll des Lobes. Sympathie, die offenbar auf Gegenseitigkeit beruht. Der Großteil der Feuerwehrler verabschiedete sich persönlich. „Einer hat sogar gesagt, dass er sich auf ein Wiedersehen freut. Aber unter anderen Bedingungen.“
Zuletzt hatten die Bauers im Schnitt 400 Tiere am Hof, den Herbert Bauers Ur-Ur-Großeltern einst gekauft haben. Gänse, Enten, Hähnchen und Hühnern sowie etwa 50 Babyputen. Die letzten erst vor wenigen Tagen gekauft…
Zwangsläufig taucht da die Frage nach dem wirtschaftlichen Schaden auf. Als Kleinstbetrieb werden sie wohl durch alle Raster fallen, befürchtet Else Bauer. Was der Einsatz wohl kosten wird? Dann der Verdienstausfall, gerade vor dem Martini- und Weihnachtsgeschäft. Und überhaupt: Wann könnte denn Geflügel samt und sonders wieder einziehen? Wollen wir das noch?
Vor allem Herbert Bauer ist reserviert und voller Zweifel. „Was, wenn es uns dann nach einer Woche wieder erwischt?“ Für ihn ein durchaus vorstellbares Szenario, „die Nilgänse vom Brombachsee und die Elstern werden immer mehr.“ Hinzu komme ihrer beider Alter und die Tatsache, dass Sohn Johannes fast 300 Kilometer entfernt seine berufliche Bleibe hat. Er wünscht sich allerdings wieder Tiere und kommt auch so gut wie jedes Wochenende nach Hause, aber: „Realistischerweise stehen die Chancen momentan fifty-fifty.“
Aktuell hangeln sich Bauers von Tag zu Tag, von einer Aufgabe zur nächsten. Die Ställe noch einmal desinfizieren, das Futter zusammentragen, das entsorgt werden muss. Die Wäsche – jedes getragene Teil bei der Arbeit landet in der Maschine. Die gehaltenen Perlhühner erweisen sich für die Landwirte als Glücksfall: Dank ihnen gibt es auf dem Hof keine Nager (die vertragen die Töne des Federviehs nicht), „sonst hätten wir noch viel mehr Aufwand“.
Während der reine Blick aufs Papier Zeit suggeriert – betroffene Ställe dürfen frühestens 21 Tage nach der Schlussdesinfektion und Aufhebung der Schutzzone wiederbelegt werden – steigt der tatsächliche Druck. „Im Dezember müssen die Jungtiere für Mai bestellt werden, sonst kriegst nix mehr“, verdeutlicht Else Bauer. Und schluckt.