
Weltreise mit Weitblick
Landrat Ben Schwarz ließ sich mit dem FuBE-Team nur allzu gerne nach Afghanistan entführen
Stand: 07.12.2025
Es sind außergewöhnliche Reisen, schon alleine, weil es für sie keinen Pass braucht. Im Grunde nicht mal Auto, Flugzeug oder Koffer. Und doch landen eine Menge an Eindrücken und Erinnerungen im Gepäck. Wie das möglich ist? Mit den „Weltreisen ins Wohnzimmer“, zu denen das Haus international seit sechs Jahren einlädt. Die jüngste führte nach Afghanistan und war nicht nur wegen des Ziels besonders.
In den Genuss der „Reise“ kam der Vorstand des Vereins FuBe (Förderverein zur Unterstützung des Bürgerschaftlichen Engagements) mit Landrat Ben Schwarz an der Spitze. FuBe verwaltet die Spendengelder des Projekts, wofür das Haus international Danke sagen wollte. Also folgte auf eine Sitzung eine „Weltreise durchs Wohnzimmer“. Deren Grundidee ist, dass Personen mit Migrationshintergrund Köstlichkeiten aus ihrem Land anbieten und dabei von ihrer Heimat erzählen. Meist sind intensive Gespräche die Folge - passend zum Motto der Veranstaltungen, die in Roth rund vier, fünf Mal im Jahr stattfinden: Miteinander sprechen, nicht übereinander.
Dafür stellen die Gastgeber die Sitten und Gebräuche sowie kulturelle und kulinarische Eigenarten ihrer Heimatländer vor, oft auch Persönlichkeiten oder geographische Besonderheiten. Und natürlich die Küche(n). Und was hat es da nicht schon alles (Leckeres) gegeben, entsinnt sich Aline Liebenberg, die zusammen mit Sophia Hoch praktisch die „Reiseleiterin“ ist. Biryani aus dem Irak, Fischpfanne aus Brasilien, aserbaidschanischer Plov, Reistopf und Nationalgericht.
Roth weist im Gegensatz zu anderen Orten, an denen diese Art Weltreisen angeboten werden, eine Besonderheit auf. Üblicherweise laden die Gastgeber zu sich nach Hause ein. „Bei uns treffen wir uns immer im Haus international“, berichtet Aline Liebenberg. Das habe sich schon alleine deshalb bewährt, weil nicht jedes Familien-Wohnzimmer groß genug ist, die meist sechs Gäste zu fassen. Wo gekocht wird, ist hingegen unterschiedlich. Manche nutzen die Räumlichkeiten des Hauses im Herzen der Kreisstadt, andere den gewohnten, heimischen Herd und bringen die Köstlichkeiten dann mit.
Das Projekt gibt es im Landkreis bereits seit 2019, seitdem waren unter anderem Brasilien, Aserbeidschan oder Thailand, Armenien oder Polen Reiseziele. In diesem Jahr ging es gleich mehrfach nach Venezuela, einmal wurde „auf Litauisch“ miteinander Weihnachten gefeiert.
Der Adressatenkreis ist sehr unterschiedlich, „und das ist uns auch wichtig“, unterstreicht Aline Liebenberg. Die Verantwortlichen möchten schließlich möglichst viele Menschen unter der Idee „interkultureller Austausch“ zusammenbringen, „da nutzt es nicht, wenn immer die gleichen üblichen Verdächtigen kommen“.
Deswegen beschreiten sie andere Wege und sprechen beispielsweise (Sport)Vereine oder Organisationen ganz gezielt an, ob sie nicht bei einer Betriebs- oder Weihnachtsfeier sechs Karten für eine Weltreise verlosen möchten. Oder es werden Gruppen eingeladen, die dann wiederum als Multiplikatoren fungieren. „Wir sind von dem Modell überzeugt“, sagt die Landratsamtsmitarbeiterin. Sie ist es auch, die die Gastgeber anspricht und animiert. Die haben meist über Besuche im Haus international einen Bezug. „Ich fühle dann vor, wenn ich den Eindruck habe, dass das passen könnte“, erklärt sie das praktische Vorgehen.
Ein „Nein“ komme zwar selten vor, wenn aber, hat es meist mit schlimmen Erfahrungen auf der Flucht oder persönlichen Schicksalen zu tun. „Wir haben vollstes Verständnis, wenn Menschen darüber nicht reden wollen.“ Gleichwohl sind es genau diese Berichte, die sich einprägen und begreifbar machen, was es bedeutet, sein altes Leben, vielleicht auch alles, hinter sich zu lassen.
Aline Liebenberg geht ein Bild nicht mehr aus dem Kopf, das ein junger Mann bei einer der inzwischen über 30 Weltreisen gezeichnet hat. Bei seiner Flucht durch die Wüste seien links und rechts seines Weges Menschen gelegen. Menschen, denen er nicht mehr helfen konnte…
„Wir müssen Geschichten wie diese hören, um zu verstehen“, steigt Landrat Ben Schwarz auf Aline Liebenbergs Schilderungen ein. Er ist von dem Abend, aber auch dem Format mehr als angetan. Dieses erlaube, Menschen anderer Nationalitäten persönlich zu erleben. Auf einmal bekämen Flüchtlinge ein Gesicht, erfahrenes Leid, aber auch Sorgen in der neuen Heimat würden greifbarer. „Das ist schon berührend.“ Jeder wisse, dass Flucht etwas Dramatisches und Traumatisierendes sei. Werde es aber persönlich erzählt, sei das „noch mal etwas anderes“, eine andere Stufe der Wahrnehmung.
Noch etwas ist besonders: Auf einmal würden Zugezogene zu Gastgebern. Wenn man die Liste der Länder betrachtet, weiß man: In denen genießt Gastfreundschaft einen hohen Stellenwert. Das haben schon viele „Reisende“ erfahren, berichtet Aline Liebenberg nicht ohne Stolz.
Damit zur „Gastgeberin“ und Köchin an jenem Abend: Quandi Gol, die von ihrem Sohn Ahmad unterstützt wurde. Qandi Gol kommt zum Deutschlernen ins Haus international und würde zumindest vormittags gerne arbeiten. Ihr Sohn besucht die Mittelschule und spielt leidenschaftlich gerne Fußball. Vor gut drei Jahren ist die Familie nach Deutschland gekommen, die Gedanken sind aber tagtäglich in der Heimat, in der der Großteil der Verwandten Familie lebt – unter schwierigen Bedingungen.
Um all das zu hören, braucht es Reisen ins Wohnzimmer. Und wenn nicht mal ein Pass nötig ist: Was hält uns ab?
Gut zu wissen: Das 2011 „erfundene“ Begegnungsprogramm gibt es in ganz Deutschland. In Roth findet es im Haus international statt, das sich dem interkulturellen Austausch verschrieben hat. Neben den Weltreisen werden unter anderem Hausaufgabenbetreuung und -hilfe und Sprachcafés angeboten. Die „Weltreise ins Wohnzimmer“ wurde 2021 mit dem Mittelfränkischen ausgezeichnet. Weitere Informationen gibt es telefonisch über untenstehende Kontaktdaten.
